Ein Hurrikan von oben
Der große Sturm, der einen schulfreien Nachmittag bescherte, hat, so scheint es, um Bayreuth einen Bogen gemacht. Wer das Wochenende zum Anlass für einige literarische Bewältigungsversuche nehmen möchte, für den gibt es hier ein paar Inspirationen.
Der Klassiker zum Thema trägt den Namen des Ereignisses schon im Titel: „Der Sturm“. Er sorgt dafür, dass ein Schiff aus dem fernen Neapel kommend und das Meer überquerend, scheitert. Shakespeare, der nie übers Meer fuhr, hinterließ eine packende Szene eines Schiffsuntergangs:
„Matrosen: Wir sind verloren! Betet! Sind verloren!
Bootsmann: Was? Müssen wir ins kalte Bad?
Gonzalo (ein ehrlicher alter Rat): Der Prinz und König beten; tun wir’s auch.
Wir sind im gleichen Fall!“
Dass der Sturm nicht Schicksal ist, sondern von Prospero, dem Magier, aus kleinlichem Rachestreben, geschickt wurde, ahnen sie nicht. Sie dürfen weiterleben und werden von Prospero, der meint, die Welt so einrichten zu können, wie er es für richtig hält, zu verdinglichten Opfern einer egoistischen Selbstgerechtigkeit. Die „schöne, neue Welt“, die seine Tochter Miranda zu sehen meint, hat es in sich.
Bertolt Brecht nutzt den Stum in seinem Lehrstück „Der Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ für eine seiner Gesellschaftsanalysen: Auf Mahagonny, die Goldstadt, zu der die Unzufriedenen aller Kontinente ziehen, denn „Dort gibt es Fleischsalat / Und keine Direktion“, zieht ein großer Hurrikan zu, der alle verzweifeln lässt:
„Haltet euch aufrecht, fürchtet euch nicht
Brüder, erlischt auch das irdische Licht
Wollet nicht verzagen,
Was hilft alles Klagen“
Auf wundersame Weise macht der Hurrikan in letzter Minute einen Bogen um die Stadt, doch die Rettung enthüllt deren schlimmste Seite:
„Erstens, vergesst nicht, kommt das Fressen
Zweitens kommt der Liebesakt
Drittens das Boxen nicht vergessen
Viertens Saufen, laut Kontrakt.
Vor allem aber achtet scharf
Dass man hier alles dürfen darf.“
So heißt die neue Gesellschaftsordnung. Doch wer in Mahagonny dies mit der großen Freiheit verwechselt, sitzt einer Illusion auf, denn er merkt nicht, wie Brecht es zu wissen meint, dass es in der Gesellschaft nur ums Geld geht, das ihm aus der Tasche gezogen wird.
Die großen Notlagen können aber auch das Beste im Menschen zeigen und ihn zu großen Taten anspornen. Solche Stürme gibt es in Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“:
„Eine furchtbare Böe kam brüllend vom Meer herüber, und ihr entgegen stürmten Ross und Reiter den schmalen Akt zum Deich hinan. […] Den Reiter aber wollte es überfallen, als sei hier alle Menschenmacht zu Ende; als müsse jetzt die Nacht, der Tod, das Nichts hereinbrechen.“
Diesem Nichts der Natur stellt der Schimmelreiter – „und wie ein Stolz flog es ihm durch die Brust“ – seinen von ihm konstruierten Deich entgegen.
Joseph Conrad, der englischsprachige Schriftsteller, der aus Polen kam, fuhr selbst zur See und kannte sich mit Stürmen aus. Von ihm stammt die Erzählung „Taifun“: Der eher schüchterne Kapitän McWirr kennt nur schweres Wetter, aber keinen echten Sturm. Als sein Schiff von einer schweren Kreuzdünung durchgeschüttelt wird, studiert er sein Seehandbuch und fährt mitten ins das hinein, was sich vor ihm zusammenbraut: Alles andere hieße dreihundert Meilen Umweg und „eine schöne Kohlenrechnung extra“. So fährt er hinein in die Hölle und mit ihm seine Ladung, dreihundert chinesische Lohnarbeiter, die im Laderaum eingepfercht sind.
Wer zu diesen Sturmgeschichten die passende Musik sucht, der kann Richard Strauss „Alpensinfonie“ (op. 64) einlegen: Nichts ist erhabener als einen Sturm in der Musik oder im Buch im schönen, warmen Wohnzimmer zu erleben.
P.S.: Alle Texte bis auf Brecht sind schnell im Internet zugänglich. Auch die „Alpensinfonie“ kann man dort anhören.
Ein Hurrikan von oben
Der große Sturm, der einen schulfreien Nachmittag bescherte, hat, so scheint es, um Bayreuth einen Bogen gemacht. Wer das Wochenende zum Anlass für einige literarische Bewältigungsversuche nehmen möchte, für den gibt es hier ein paar Inspirationen.
Der Klassiker zum Thema trägt den Namen des Ereignisses schon im Titel: „Der Sturm“. Er sorgt dafür, dass ein Schiff aus dem fernen Neapel kommend und das Meer überquerend, scheitert. Shakespeare, der nie übers Meer fuhr, hinterließ eine packende Szene eines Schiffsuntergangs:
„Matrosen: Wir sind verloren! Betet! Sind verloren!
Bootsmann: Was? Müssen wir ins kalte Bad?
Gonzalo (ein ehrlicher alter Rat): Der Prinz und König beten; tun wir’s auch.
Wir sind im gleichen Fall!“
Dass der Sturm nicht Schicksal ist, sondern von Prospero, dem Magier, aus kleinlichem Rachestreben, geschickt wurde, ahnen sie nicht. Sie dürfen weiterleben und werden von Prospero, der meint, die Welt so einrichten zu können, wie er es für richtig hält, zu verdinglichten Opfern einer egoistischen Selbstgerechtigkeit. Die „schöne, neue Welt“, die seine Tochter Miranda zu sehen meint, hat es in sich.
Bertolt Brecht nutzt den Stum in seinem Lehrstück „Der Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ für eine seiner Gesellschaftsanalysen: Auf Mahagonny, die Goldstadt, zu der die Unzufriedenen aller Kontinente ziehen, denn „Dort gibt es Fleischsalat / Und keine Direktion“, zieht ein großer Hurrikan zu, der alle verzweifeln lässt:
„Haltet euch aufrecht, fürchtet euch nicht
Brüder, erlischt auch das irdische Licht
Wollet nicht verzagen,
Was hilft alles Klagen“
Auf wundersame Weise macht der Hurrikan in letzter Minute einen Bogen um die Stadt, doch die Rettung enthüllt deren schlimmste Seite:
„Erstens, vergesst nicht, kommt das Fressen
Zweitens kommt der Liebesakt
Drittens das Boxen nicht vergessen
Viertens Saufen, laut Kontrakt.
Vor allem aber achtet scharf
Dass man hier alles dürfen darf.“
So heißt die neue Gesellschaftsordnung. Doch wer in Mahagonny dies mit der großen Freiheit verwechselt, sitzt einer Illusion auf, denn er merkt nicht, wie Brecht es zu wissen meint, dass es in der Gesellschaft nur ums Geld geht, das ihm aus der Tasche gezogen wird.
Die großen Notlagen können aber auch das Beste im Menschen zeigen und ihn zu großen Taten anspornen. Solche Stürme gibt es in Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“:
„Eine furchtbare Böe kam brüllend vom Meer herüber, und ihr entgegen stürmten Ross und Reiter den schmalen Akt zum Deich hinan. […] Den Reiter aber wollte es überfallen, als sei hier alle Menschenmacht zu Ende; als müsse jetzt die Nacht, der Tod, das Nichts hereinbrechen.“
Diesem Nichts der Natur stellt der Schimmelreiter – „und wie ein Stolz flog es ihm durch die Brust“ – seinen von ihm konstruierten Deich entgegen.
Joseph Conrad, der englischsprachige Schriftsteller, der aus Polen kam, fuhr selbst zur See und kannte sich mit Stürmen aus. Von ihm stammt die Erzählung „Taifun“: Der eher schüchterne Kapitän McWirr kennt nur schweres Wetter, aber keinen echten Sturm. Als sein Schiff von einer schweren Kreuzdünung durchgeschüttelt wird, studiert er sein Seehandbuch und fährt mitten ins das hinein, was sich vor ihm zusammenbraut: Alles andere hieße dreihundert Meilen Umweg und „eine schöne Kohlenrechnung extra“. So fährt er hinein in die Hölle und mit ihm seine Ladung, dreihundert chinesische Lohnarbeiter, die im Laderaum eingepfercht sind.
Wer zu diesen Sturmgeschichten die passende Musik sucht, der kann Richard Strauss „Alpensinfonie“ (op. 64) einlegen: Nichts ist erhabener als einen Sturm in der Musik oder im Buch im schönen, warmen Wohnzimmer zu erleben.
P.S.: Alle Texte bis auf Brecht sind schnell im Internet zugänglich. Auch die „Alpensinfonie“ kann man dort anhören.