Schulgeschichte

„Das wär‘ geschafft“ an der „Dechtaschul“: Abiturzeitungen im Wandel

Endlich ist es vorbei. Die letzte Abschlussprüfung ist geschrieben (und, normaler- wie glücklicherweise, bestanden), die Noten wurden verkündet und die Klamotten für die Abschlussfeier liegen bereit. Jedoch muss zuvor noch der Abiturscherz über die Bühne gehen, und dabei kann endlich auch die Abiturzeitung des eigenen Jahrgangs verkauft werden, also das Schriftwerk, in dem die Höhepunkte des eigenen Schülerlebens noch einmal wiedererstehen und der Nachwelt zum erinnerungsvollen Gedenken übergeben werden sollen. Nur wer schreibt, der bleibt, und dieses Geschriebene soll wohlweislich doch lieber in Papierform verewigt werden, aller Digitalisierung und allen papierlosen Versprechungen zum Trotz.

Die Abiturzeitungen sind freilich keine Erfindung der letzten Jahre, sondern es gibt sie schon seit vielen Schülergenerationen. Im Archiv des RWG sind glücklicherweise einige alte Abschlusszeitungen erhalten geblieben. Sie geben einen aufschlussreichen Einblick in die Zeitumstände, in das damalige Schulleben und die Zukunftserwartungen.

Die älteste erhaltene Zeitung ist die „Dechtaschul“ von 1935. Es ist noch keine Abiturzeitung, die Schule war noch ein Mädchenlyzeum, also nach heutigem Verständnis eine Realschule. Aber auch die „Lyzen“ wollten natürlich nicht zurückstehen, so wie sie sich auch die eigene Schülermütze auf den Kopf setzten, um die Ebenbürtigkeit mit den (männlichen) Gymnasiasten zu markieren. (Die Schülermützen wurden freilich um diese Zeit vom neuen politischen Regime schon nicht mehr gerne gesehen.)

Die Abschluss-Klasse 1935 mit den Verfasserinnen der „Dechtaschul“

Das selbstbewusste Motto der „Dechtaschul“ auf Seite 1 lautete kernig: „Niederträchtig – aber einig“. Man verortete sich als „Zeitschrift für die eingebildete Welt“; eine der Beilagen wurde speziell als eine „für die Hausfrau mit Säuglings- und Nagelpflege“ angekündigt. Die Redaktion zeichnete als „unverantwortlich“. Bei ihren Mitgliedern handelte es sich um den Teil der Abschlussklasse, „der durch den Besuch der Anstalt bereits völlig verblödet ist“. Eine „Schmierabella“ war für die Gestaltung des Blatts verantwortlich.

Viel Raum nehmen die Porträts der Lehrerinnen und Lehrer ein. Alle wurden mit Gedichten liebevoll-boshaft charakterisiert. Besonders einfühlsam fiel die Beschreibung des „Gockels“ aus, des späteren Schulleiters Dr. G., dessen charaktervolle Eigenheiten sorgfältig nachgezeichnet wurden. (Für Außenstehende mussten sie bisweilen einen Einschlag ins Bizarre haben, aber das soll ja bei bestimmten Lehrerpersönlichkeiten noch heute so sein.) Die Schülerinnen wurden ebenfalls in Gedichtform vorgestellt:

Die Schlankheit ist der Gerda Traumgebild.
Doch gilt das nicht für alle.
Auf dicke Männer ist sie wild,
Auf Heiner hier im Sonderfalle.

Hoffentlich nicht ganz ernstgemeint waren die vielen Kleinanzeigen:

Suche hohe Fassade und langen Strick, um mich bei der nächsten 4, die ich schreibe, aufzuhängen. T. L.

Eine Wiedergabe von Photos war offenbar nicht möglich, ein Photoapparat stand vielleicht auch nicht zur Verfügung. Daher wurden alle Beträge mit kunstvoll gestalteten Zeichnungen geschmückt. Die Zeitung wurde anschließend in die Druckerei C. Neumeister in Bayreuth gegeben und mit einem Hektographiergerät auf einfachem Papier vervielfältigt.

Dechtaschul 1935 Titelblatt

Dechtaschul 1935 Impressum

Dechtaschul 1935 über Lehrer Dr. G.

Erhalten ist auch die Abschlusszeitung „Klassischer Beobachter“ aus dem Kriegsjahr 1944. Die Schule war nun bereits eine „Vollanstalt“, es handelte sich also um eine richtige „Abiturzeitung“. Dies sollte wohl in dem anspielungsreichen, vielleicht auch etwas sarkastisch gemeinten Namen der Zeitschrift zum Ausdruck kommen. Vor allem war das lateinische Motto gehaltvoll: „Iucunda est memoria praeteritorum malorum“ – „Süß ist das Gedenken an vergangene Übel“. Die Abiturklasse wird nach den Cliquen geordnet vorgestellt: ein „Schleifchenbund“, das „Dreimäderlhaus“, die „Kameradschaftlichen“, die „Spinneten“, die „braven Kinder“ und die „Internationalen“ bildeten die Klassengemeinschaft. Dr. G. war wie schon 1935 eine Zielscheibe des Spotts, denn ein auf dem Lehrergang belauschtes Gespräch wurde in Gedichtform wiedergegeben. Thema der Unterhaltung war ein Zeitungsbericht über das Lustspiel „Das Glöckerl unterm Himmelbett“ …

Auch diese Zeitung war geistreich und witzig aufgemacht. Einige Einträge geben aber unfreiwillig Einblick in die verbrecherischen Zeitumstände. Das klassische Versmaß wirkt hier plötzlich schal: „SS-Anhängerin wurde die Inge genannt./Waffen-SS? Das M.G. ist dann Ingeleins Mund.“ – „Bei der H.J. [Hitlerjugend] ist’s viel schöner als hier in der Schule/meint die Brigitte und weiß auch von der Marine sehr viel.“

Klassischer Beobachter 1944 Titelblatt

Klassischer Beobachter 1944 Schülercliquen

Klassischer Beobachter 1944 Lehrerbeschreibungen

„Das wär’geschafft.“ war der Titel der Abiturzeitung 1956. Von ihr ist leider kein Text erhalten, nur noch eine Kopie des Titelblatts sowie einige Bilder von der Abschlussfeier 1956 sind vorhanden. Aber da man nun schon Photographien in der Abiturzeitung wiedergeben konnte, schmückte man die Titelseite nicht nur mit einer humorvollen Zeichnung, sondern auch mit einigen Schnappschüssen: Ein Bild aus einem Klassenzimmer stellte den Schulalltag dar, man zeigte sich bei diversen eher freizeitlichen Treffen, und vor allem posierte eine Gruppe von Schülerinnen vor dem Eingang der überaus verruchten „Milchbar“ am Sternplatz.

Das wär’geschafft. 1956

Bilder von der Abschlussfeier 1956

Und heute? Die Abiturzeitungen haben sich gewandelt: Dank modernem Computer-Satz und preiswerter Angebote der Druckereien können heutzutage auch Laien ansprechende Hefte zum Druck befördern. Breiten Raum nehmen nun, selbstverständlich meist in Farbe und auf Glanzpapier, die „Charakterisierungen“ der Schülerinnen und Schüler ein. Man unterstreicht seine unverwechselbaren Fähigkeiten (gern auch auf dem Gebiet der Freizeit und des Party-Rummels), stellt seine persönlichen Eigenheiten ins rechte Licht oder lässt sich von einem Kumpel oder einer Freundin porträtieren. Auch Berichte von Klassenfahrten, eine Kollektion von Lehrersprüchen, Bilder, Schilderungen der Seminare und ihrer jeweiligen Lehrer sowie Danksagungen fehlen nicht. Das alles ist richtig und in Ordnung. Früher war nicht alles besser und heute ist nicht alles schlechter. Aber früher waren die materiellen Möglichkeiten oft begrenzter und der Umfang der Hefte musste sehr schmal sein. Witz und darstellerische Fertigkeiten machten diese Einschränkungen wett.

Abiturzeitung 2017

Die Aiturienten 2017

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